Ist Ungarn bereit, sich vom russischen Gas abzuwenden? Die Vorbereitungen haben heimlich begonnen

Der europäische Gasmarkt ist in den letzten Jahren unter anhaltenden Druck geraten, was vor allem auf den dramatischen Einbruch der russischen Importe zurückzuführen ist. Ungarn hat seine Position bisher stabil gehalten, doch die Zeit nach 2028 könnte noch nie dagewesene Herausforderungen mit sich bringen: Sind wir bereit, uns vom russischen Gas abzuwenden?
In den letzten drei Jahren hat der mittel- und osteuropäische Gasmarkt einen Strukturwandel von historischem Ausmaß erlebt. Während die europäische Industrie nach wie vor nicht in der Lage ist, ihre Abhängigkeit von Erdgas sinnvoll zu verringern, erlebt die Region einen infrastrukturellen Schock, der ihr bisheriges Betriebsmodell grundlegend durcheinanderbringt, berichtet Portfolio.
Sinkender Verbrauch, stabile Rolle: Gas bleibt unverzichtbar
Erdgas ist nach wie vor eine der wichtigsten Energiequellen für die europäische Industrie – sauberere Alternativen können die kontinuierliche, hochintensive Energieversorgung, die Sektoren wie die Chemie-, Metall-, Lebensmittel- und Papierproduktion benötigen, immer noch nicht gewährleisten.
Obwohl der gesamte Gasverbrauch in Europa langfristig rückläufig ist, zeigt die Analyse von ABN Amro, dass der Verbrauch in der EU zwischen Januar und September 2025 um 3% gestiegen ist. In zwei Dritteln der Mitgliedstaaten stieg die Nachfrage ebenfalls an, wobei Österreich einen Anstieg von 14% und Portugal von 12% verzeichnete.
Die Rolle von Gas in der Industrie bleibt nahezu unverändert. Im Jahr 2023 macht Gas 31% des Energieverbrauchs in der Industrie aus – ungefähr gleichauf mit Strom – und immer noch etwa 5% über dem Niveau von 1990. Die Emissionsdaten untermauern dies: 65% der industriellen CO₂-Emissionen stammen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, wobei Gas den größten Beitrag leistet.
Mehrere Schocks treffen den mitteleuropäischen Gasmarkt
In der Zwischenzeit ist die Infrastruktur in Mitteleuropa außerordentlichem Druck ausgesetzt. Zwischen 2022 und 2025 wird der Gasmarkt der Region von drei großen Schocks heimgesucht: einem Rückgang der russischen Exporte um 80 %, der massiven Kündigung langfristiger EU-Transitverträge und einer Umkehrung der Gasströme.
Anstelle der traditionellen Ost-West-Richtung fließt nun mehr Gas von Westen nach Osten, insbesondere in Richtung Ukraine – eine Verschiebung, die in mehreren Netzen zu Kapazitätsengpässen und steigenden Tarifen geführt hat.
In Österreich werden sich die Einspeisetarife ab 2026 verdoppeln, während die Ausspeisegebühren um 77% steigen werden. Die Transiteinnahmen der Slowakei haben sich in den letzten sieben Jahren fast halbiert, und die für 2026 geplante Tariferhöhung um 70 % könnte sogar das Ende des Transits nach Osten bedeuten.
Länder in der gesamten Region versuchen, sich anzupassen. Die Tschechische Republik zum Beispiel hat begonnen, die Zölle zu senken und öffnet sich für deutsche LNG-Routen.

Könnte sich Ungarn vom russischen Gas abkoppeln?
Ungarn hingegen hat eines der stabilsten Tarifsysteme in der Region beibehalten, auch dank der anhaltenden Verfügbarkeit von billigem russischem Gas über südliche Routen und der stabilen Tarife, die nach der Preisanpassung 2021 eingeführt wurden. Der inländische Netzbetreiber arbeitet außerdem unter einer strengen Kostenregulierung, die jedes Jahr 1,5 % Effizienzsteigerung verlangt.
Diese Stabilität ist jedoch fragil. Wenn die EU-Pläne zu einem vollständigen Stopp der russischen Gaslieferungen ab 2028 führen, wird Ungarn mit den gleichen Risiken konfrontiert, mit denen seine Nachbarn jetzt konfrontiert sind.
Aus diesem Grund ist bereits eine umfassende Diversifizierung des Gasmarktes im Gange. Das LNG-Terminal in Krk wird Ungarn bis 2028 mit einer jährlichen Kapazität von 1 Milliarde Kubikmeter versorgen, während Engie (2028-2038) und Shell (2027-2036) 0,4 bzw. 0,2 Milliarden Kubikmeter LNG pro Jahr liefern werden.
Ab 2030 könnten Pipeline-Lieferungen von 1,5 Milliarden Kubikmetern pro Jahr aus dem aserbaidschanischen Shah-Deniz-Feld kommen. Diese Optionen bieten greifbare Alternativen für den Fall, dass die russischen Importe wegfallen – wenn auch zu höheren Kosten.
Die größte Frage ist, wie sich die Auslastung des Netzes entwickeln wird. Zahlreiche Beispiele aus der Region zeigen, dass sinkende Volumina zu Tariferhöhungen führen, die darauf abzielen, entgangene Einnahmen zu kompensieren, was wiederum zu einem weiteren Rückgang des Volumens und damit zu einer Tarifspirale führt. Ungarn hat dies bisher vermieden, aber die hohen Tarife und begrenzten Kapazitäten der neuen West-Ost-Strecken könnten sich leicht auf die Inlandspreise auswirken.
In dieser sich wandelnden Landschaft könnte die Abkehr von russischem Gas für Ungarn bald weniger eine Option als vielmehr eine Notwendigkeit sein.

