Die Rolle des Lucy-Fossils: Vielleicht war sie doch nicht unser direkter Vorfahre?

Das ikonische Lucy-Fossil, Australopithecus afarensis, wurde jahrzehntelang als eines der bekanntesten Glieder der menschlichen Evolution angesehen. Nach den neuesten Forschungsergebnissen und Fossilienfunden ist seine Rolle in der Linie der direkten Vorfahren jedoch fraglich geworden und hat unter Anthropologen eine heftige Debatte ausgelöst.
Eines der berühmtesten und ikonischsten Fossilien, die in der menschlichen Evolution untersucht wurden, ist Lucy, die 1974 in Äthiopien entdeckt wurde. Das 3,2 Millionen Jahre alte Exemplar gehört zu der Spezies Australopithecus afarensis, die auf zwei Beinen ging und eine aufrechte Haltung hatte, die der des modernen Menschen ähnelt. Aufgrund dieser Merkmale wurde lange Zeit angenommen, dass Lucy unser direkter Vorfahre sein könnte, der Ausgangspunkt für die Evolution aller späteren Homininen. Diese Annahme scheint nun jedoch zunehmend unsicher zu sein, berichtet Live Science.
Die Wurzeln der Debatte
Der menschliche Stammbaum ist alles andere als linear. Im Laufe der Jahrzehnte wurden immer mehr Fossilien ausgegraben und zahlreiche alte menschliche Verwandte entdeckt, die zur gleichen Zeit lebten, so dass es immer schwieriger wird, genau zu bestimmen, von welcher Art wir abstammen. Das 1925 entdeckte Taung-Kind, das zu Australopithecus africanus gehörte, wurde lange Zeit als direkter Vorfahre des Menschen angesehen, bis die Entdeckung des Lucy-Fossils diese Sichtweise änderte und Australopithecus afarensis eine zentrale Rolle zuwies.
Neue Fossilien, neue Theorien
Eine kürzlich in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie bietet eine neue Perspektive auf den Status des Fossils Lucy. Forscher haben kürzlich neue Fuß- und Zahnreste entdeckt, die der Spezies Australopithecus deyiremeda zugeordnet werden. Diese Spezies lebte vor 3,3-3,5 Millionen Jahren zur gleichen Zeit wie Lucy in Äthiopien und verbrachte, obwohl sie auf zwei Beinen ging, einen Großteil ihrer Zeit auf Bäumen.
Der Studie zufolge waren A. deyiremeda und A. africanus anatomisch näher beieinander als Lucys Art. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass A. africanus kein Nachfahre von Lucy war, sondern eher ein entfernterer Verwandter. Die Forscher schlagen vor, dass die Rolle des direkten Vorfahren stattdessen dem älteren Australopithecus anamensis gehören könnte, der vor 3,8-4,2 Millionen Jahren in Ostafrika lebte.
Fred Spoor, Professor für evolutionäre Anatomie am University College London, glaubt, dass die neue Entdeckung das Ende der Theorien bedeuten könnte, die Lucy als direkten Vorfahren in den Mittelpunkt stellen. Andere Experten, wie Lauren Schroeder, Paläoanthropologin an der University of Toronto Mississauga, betonen jedoch, dass sich während der menschlichen Evolution viele verschiedene Arten parallel entwickelt und gekreuzt haben, so dass eine Verwandtschaft mit Lucy nicht ausgeschlossen werden kann.
Selbst die Autoren der Studie sind sich in dieser Frage nicht ganz einig. Yohannes Haile-Selassie zum Beispiel argumentiert, dass es aufgrund der Struktur ihrer Beine, ihres Gangs und anderer menschenähnlicher Merkmale am wahrscheinlichsten ist, dass Lucy nach wie vor als unser direkter Vorfahre betrachtet werden sollte.
Warum war die Entdeckung des Lucy-Fossils ein Meilenstein?
Die Entdeckung des Lucy-Fossils wurde bedeutsam, weil die Spezies A. afarensis auf zwei Beinen ging, ein kleineres Gehirn hatte als der moderne Mensch und eine Position einnimmt, die ungefähr auf halbem Weg zwischen dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Menschen im Prozess der menschlichen Evolution liegt.
Studien zufolge wird Lucy aufgrund ihrer geografischen Verbreitung, ihres Überlebens über etwa eine Million Jahre und ihrer Anpassungsfähigkeit immer noch als wichtig für das Verständnis der menschlichen Entwicklung und die anthropologische Forschung angesehen.

